Die Theelacht zu Norden -
ein über 1100 Jahre alter Familienverband hütet alte Sitten
Altes Zeremoniell in der Theelkammer — Für Theel-Lande gilt gesondertes Erbrecht
Von Hermann Fischer aus „Heimat und Meer“ Nr.23/2002 der Wilhelmshavener Zeitung
Die Theelacht zu Norden, ein über 1100 Jahre alter Familienverband, ist als Hüter alter Sitten und Gebräuche bekannt. Ihre Geschichte reicht bis in die Zeit der Normannen. Die Quellen sind spärlich, die Legenden umso reichlicher.
Folgende Erzählung ist im Umlauf:
Seit dem 8. Jh. n. Chr. machten die Normannen von sich reden. Aus ihrer nördlichen Heimat unternahmen sie weite Vorstöße nach Süden. Die Dänen und Norweger bevorzugten die westliche Richtung, währen die Schweden gen Osten zogen. Anfangs kamen sie als Kaufleute und machten als friedliche Händler Geschäfte mit den Einwohnern. Doch das Bild änderte sich schnell. Mit ihren zahlreichen schnellen Schiffen, langen besegelten Ruderbooten, unternahmen sie Piraten- und Raubzüge und machten die Gegenden unsicher. Bevorzugt drangen sie über die Flussmündungen tief in das Binnenland ein und schufen sich Stützpunkte.
Auch unsere Heimat litt unter den überfallartigen Einfällen der Normannen und ihrer Grausamkeit. Der Überlieferung nach waren sie kriegerisch, und wer sich ihnen in den Weg stellte, wurde gnadenlos niedergemacht. Sie kannten kein Erbarmen, nahmen sich, was sie begehrten und machten alle untertan. Sie mordeten, schändeten und brannten die Wohnstätten nieder. Als Zeichen der Knechtschaft mussten verdächtige Personen eine Weidenschlinge um den Hals tragen; damit konnten sie schnell am nächsten Baum aufgeknüpft werden. Die ostfriesische Halbinsel war inzwischen ein Bestandteil des Frankenreiches geworden. Längst hatte der Frankenherrscher verfügt, dass die Bewohner nur zur Heeresfolge im eigenen Stammesgebiet verpflichtet waren. Die normannischen Eindringlinge sollten schon an den Küsten abgefangen werden.
Noch waren die Einwohner den Normannen hilflos ausgeliefert. Sie mussten sie dem fremden König hohe Abgaben leisten. so dass bald bittere Armut einkehrte. Hinzu kam die demütige Haltung, die ihnen auferlegt wurde. In ihren Häusern waren nur nordwärts gerichtete niedrige Öffnungen zugelassen, die sie stets in gebückter Haltung mit dem nach Norden gewandten Gesicht verlassen und betreten konnten. Ohnmächtige Wut und grenzenloser Haß machten sich breit, und die Männer sannen auf Mittel und Wege, um die Feinde zu vertreiben.
Die Normannenschlacht:
Das Jahr 884 neigte sich seinem Ende, als der Erzbischof Rembertus von Bremen, zu dessen Bistum der nördliche Bereich von Ostfriesland zählte, auf dem Gerichtshügel in Norden niederkniete, seine Arme zum Himmel erhob und im inbrünstigen Gebet um den Segen für die gerechte Sache der Friesen bat. Das in regelmäßigen Abständen gepflegte Sendgericht hatte er hier abgehalten, eine gute Gelegenheit der Bewohner, im Trubel der Gerichtstage unbeobachtet zusammenzukommen, sich zu beraten und eine entscheidende Befreiungsschlacht vorzubereiten.
Man erzählt sich, dass des Bischofs Knie tief im Stein abgedrückt waren, als er sich nach langem Beten erhob. Ein Zeichen für den Beginn der Schlacht. ,,Lewer doot as Slav“, die aufgestaute Wut brach sich Bahn, mit dem Mut der Verzweiflung warfen sich die Friesen in die Schlacht. Groß war die Furcht vor den Normannen gewesen, weil man keine Mittel gefunden hatte, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Jetzt aber erhoben die Friesen ihre Schwerter, Sicheln und Sensen und stellten sich dem Feind entgegen. Immer wieder erscholl der Schlachtruf „Lewer doot as Slav“ laut über die Hilgenrieder Bucht. Sie überrannten die Stellungen ihrer Peiniger, die machtlos waren gegen den aufgestauten Zorn und den glühenden Freiheitswillen der Norder Friesen.
Als der Kampf zu Ende war, wurden über 10 000 tote Normannen gezählt. Die Flüchtigen wurden von der See verschlungen, weil die Boote nicht mehr intakt waren, die Ruder zerbrochen und die Segel in Brand geschossen. Es gab so gut wie keine Überlebenden.
Die Friesen hatten gesiegt und das Land für immer von den gehassten Feinden befreit. Als Belohnung wurden ihnen die Lande um die Hilgenrieder Bucht zur gemeinschaftlichen Dauernutzung vermacht. Es sind die „Theel-Lande“, und mit ihnen beginnt die Geschichte der „Theelacht“, eine Art von Genossenschaft, in der sich die Eigentümer der Theel-Lande zusammenschlossen. Die Ländereien wurden in Gemeinschaft verpachtet, die Pachten verwaltet und der Pachtzins an die Eigentümer ausgeschüttet.
Die frühere Hilgenrieder Bucht, heute längst eingedeicht, ist der Landstrich der Hagermarsch nördlich von Hage. Hilgenriedersiel, eine winzige Siedlung etwa sieben Kilometer nördlich von Hage, sowie der Hilgenriedensieler Osterdeich und Westerdeich sind Namen, die uns heute noch an die ehemals Hilgenrieder Bucht und das Schlachtfeld von 884 erinnern.
Erinnert werden wir auch an des Bischofs inständiges Flehen durch einen Stein, den wir heute auf dem alten Friedhof neben der Ludgerikirche finden. Dem in seiner Mulde sich ansammelnden Wasser hat man eine heilkräftige Wirkung, besonders gegen Warzen, nachgesagt. Daher nennt man ihn im Volksmund auch Warzenstein.
Wir wissen nicht, ob sich die Geschehnisse so wie geschildert abgespielt haben. Es gibt keine urkundlichen Beweise, und die Forscher sind sich uneins darüber, ob die Entstehung der Theelacht nun wirklich auf die Normannenschlacht in der Hilgenrieder Bucht zurückgeführt werden kann. Wir begnügen uns damit, dass sich die historischen Schilderungen in den Überlieferungen der betreffenden Familien wiederfinden.
Über das Alter der Theelacht von über 1100 Jahren ist man sich dagegen einig, viele Passagen des Theelrechtes erinnern an Bestimmungen im alten Landrecht und uraltes Stammesrecht der Friesen. Uns interessiert vor allem die Feststellung, dass sich diese alte genossenschaftliche Vereinigung bis auf den heutigen Tag gehalten hat mit ihren strengen Rechten hinsichtlich der Satzungen und Vererbung sowie vor allem im Hinblick auf die Erhaltung des Brauchtums, der Sitten und Gebräuche.
Die Theelacht:
„Theel“ ist die Bezeichnung für den Anteil des Einzelnen am Gemeinbesitz und am Ertrag. Jedem wird sein Teil jährlich zugeteilt. „Acht“ ist die alte friesische Bezeichnung für einen Verband. Bekannt sind uns heute noch die Bezeichnungen Deichacht und Sielacht. Die Sielacht ist eine Interessengemeinschaft, die für die Entwässerung der Ländereien sorgt, die Deichacht eine Gemeinschaft, deren Aufgabe die Erhaltung der Deiche ist.
Die Anteilseigner der Theelacht, die sich heute noch zu Recht rühmen können, Abkömmlinge der Sieger über die Normannen zu sein, sind entweder Norder Bürger oder namhafte Landbesitzer aus der näheren Umgebung. Die Angehörigen entstammen uralten Sippen, die in ununterbrochener Vererbung als Erbbauern Anrecht haben auf eine Erbpacht, die Pächter, später Landeigentümer, in dem Marschenland zahlen, das der Geest vorgelagert ist.
Die „Theel-Lande“ liegen sämtlich im Bereich der früheren Hilgenrieder und Nesser Buchten, die beide inzwischen völlig verlandet bzw. eingedeicht sind. Sie werden begrenzt im Osten durch die Herrlichkeit Dornum, im Süden durch den Geestrand und im Westen von Junkersrott.
Die Teel-Lande haben anfangs oft unter Wasser gestanden, besonders zwischen Herbst und Frühjahr. Es gab ja noch keine Deiche, sodass sich die Fluten weit ins Land ergossen. Eine Nutzung war daher auf die warme Jahreszeit beschränkt. Noch heute liegen viele Flächen nur zwischen 0,80 bis 1,50 Meter über NN. Mit dem Bau der Deiche konnte das Land verbessert werden, sodass höhere Erträge erzielt wurden.
Das zahlungspflichtige Marschenland ist in acht Theele oder Theene eingeteilt, die Einzelnamen tragen: Linteler, Gaster, Trienser, Ekeler, Osthover, Neugroder, Hover und Ever Theen. Die Namen sind schon sehr alt und lassen ihren Ursprung heute nicht mehr mit Sicherheit erkennen. Vielfach deuten sie auf alte Norder Stadtteile und Pfarrbezirke hin.
Vererbung:
Die Anteilseigner der Theelacht nennen sich Arfburen (Erbbauern). Strenge Regeln, die sich bis heute unverändert gehalten haben, werden nach uraltem Recht angelegt, um die Arftheele (Erbteile) über die Generationen zu vererben und in der Familie zu erhalten. Grundsätzlich gilt das sogenannte Jüngstenrecht, das heißt, dass der jüngste Sohn nach dem Ableben des Vaters das Arftheel erhält.
Das bedeutet nicht unbedingt, dass ältere Brüder ausgeschlossen sind. Die Übernahme von Arftheelen ist für sie jedoch an feste Bedingungen geknüpft. Sie müssen nicht nur verheiratet sein und einen eigenen Hausstand führen, sie müssen auch ihre Erbrechte geltend machen. Man sagt, sie müssen „antasten“ oder „anklopfen“. Zeugen, die selbst Theele besitzen, müssen die Rechte bestätigen können. In einer Versammlung der Arfburen wird über den Antrag entschieden.
Bemerkenswert ist, dass wenn ein Berechtigter seine Erbrechte nicht geltend macht, das Recht nicht etwa verloren geht. Es bleibt den Nachkommen vorbehalten, auch noch nach Generationen, z.B. „up Grootvaders“ oder „up Urgrootvaders Nam“ anzutasten.
Sollte der Arfbuur einen Sohn und eine Tochter hinterlassen, erbt zunächst der Sohn den Arftheel. Wenn der Sohn jedoch unverheiratet verstirbt, tritt seine Schwester als Erbin an seine Stelle, sie wird zur Arfdochter.
Wenn nur Töchter vorhanden sind, erben diese im Gegensatz zu den männlichen Erben gemeinsam; zwei Schwestern erhalten z.B. je die Hälfte. Eine Arfdochter kann jedoch ihre Rechte nicht selbst ausüben. Sie ist nur ein verbindendes Mitglied zu ihren Kindern. Die Rechte übernimmt ihr Ehemann, sobald sie geheiratet hat. Er wird ein Pelzbuur, ihm wurde der Anteil „upgepelzt“ (von pfropfen). Er verliert aber in dem Moment wieder seine Rechte, wenn die Ehefrau verstirbt. Die Söhne können wieder ihre Rechte geltend machen, indem sie antasten, Töchter nur dann, wenn keine Söhne vorhanden sind. Ihren Anteil müssen sie sich entsprechend ihrer Anzahl wiederum teilen.
Verstirbt ein Erbbauer, ohne Kinder zu hinterlassen, so fällt sein Theel zurück an die Theelacht.
Das Theelrecht hatte eine strenge Auslegung hinsichtlich des Wortes „Hinterlassenschaft“. Kinder, die vor dem Vater verstorben waren, konnten nicht erben und damit ihren Kindern auch kein Theel hinterlassen. Die gleiche Bedingung galt für den Fall, dass der Vater vor dem Großvater verstarb. Die Erbfolge galt immer nur in direkter Linie vom Vater auf den Sohn.
Otto der Große hatte im Jahre 938 das sogenannte Enkel-Erbrecht eingeführt, aber die alte Regelung des germanischen Rechtes blieb in der Theelacht erhalten, was auch ein Beweis ist, dass sie vordem schon bestand. Erst vor etwa 60 Jahren wurde diese Bestimmung im Theelrecht geändert auf Grund einer obergerichtlichen Entscheidung. Der Besitz eines Arftheel in einer Familie war, abgesehen von dem früher hohen geldlichen Wert eine ehrenvolle Sache im Zusammenhang mit der Erinnerung an die Normannenschlacht und der Erbgesessenheit der Vorfahren in Norden und Umgebung über mehr als 1100 Jahre.
Jede Familie bemühte sich um den Erhalt ihres Theels, das in Notzeiten lieber beliehen wurde als verkauft. Ein Verkauf galt selbst in der Not als schimpflich. Die Theelacht sah diesen Fall nicht gern, da die direkte Blutlinie der Inhaber des Theels verloren ging. Das veräußerte Theel wird zum Kooptheel, der neue Besitzer nennt sich Koopbuur, während die Erben des Verkäufers ihr Recht verlieren.
Der Koopbuur ist den Arfburen lediglich insoweit gleichgestellt, als er Pachtgelder einnimmt. Weitergehende Rechte hat er nicht. Die Geschicke der Theelacht kann er nicht mitlenken. Die Kooptheele werden auch nicht nach dem Theelrecht vererbt, sondern nach bürgerlichem Recht.
Organisation:
Für die Leitung der Theelacht werden sogenannte Theelachter bestellt, vier an der Zahl, die jeweils zwei der insgesamt acht Theelbezirke vorstehen. Sie werden von den Arf- und Pelzburen auf Lebenszeit gewählt und müssen selbst Arf- oder Pelzburen sein. Ihre vornehmlichen Aufgaben sind die Einziehung der Theelheuern, die Auszahlungen der Pachten und die Rechnungslegung alle vier Jahre immer zum 24. Juni (Johann Baptist) eines Schaltjahres. Mit diesem Datum beginnt auch das Rechnungsjahr der Theelacht. Für jeden Bezirk muss ein Theelbuch geführt werden, dass die Namen der Berechtigten enthält und in dem die Auszahlungen festgehalten sind. Aus früherer Zeit sind noch Theelbücher vorhanden, die wegen ihres bedeutenden historischen Wertes sorgsam gehütet werden. Unterstützt wird die Arbeit der Theelachter durch einen Syndikus, der oftmals Jurist ist und sich beratend betätigt. Neben diesen Personen gibt es noch einen Theelboten, der alle in der Theelacht anfallenden Dienste leistet. Dazu gehört die Benachrichtigung der berechtigten Mitglieder, aber auch der Service bei den Versammlungen.
Theelkammer:
Für die Versammlungen der Theelacht-Mitglieder dient schon seit etlichen Jahrhunderten ein Raum im Alten Rathaus der Stadt Norden, die Theelkammer. Das alte Rathaus, aus dem Mittelalter stammend und 1531 von Balthasar von Esens zerstört, präsentiert sich uns heute als 460 Jahre alter Bau, in dem ein sehenswertes Museum untergebracht ist, das uns Sammlungen zeigt aus der Frühgeschichte der Stadt und uns informiert über die Entwicklung des Deichbaus und die Wohnkultur in Ostfriesland. Das Alte Rathaus befindet sich im Zentrum der Stadt Norden westlich vom baumbestandenen Marktplatz. Ganz in der Nähe liegt die sehenswerte Ludgerikirche. Äußerlich fällt der angebaute Treppenturm des Alten Rathauses ins Auge. Hier in der Theelkammer finden sich die Berechtigten zur Empfangnahme der auf sie entfallenden Pachtgelder ein, nachdem sie mit folgenden Worten aufgefordert worden sind: „All de Arfburen, de bearft sünt in de … Theel, de kamen tosamen Middwäk`s namiddags Klock twee Ühr, allhie unner dat olle Rathuus up de Theelkamer un bören hör Gel, elker Arfbur sülms na oll Wennst (nach alter Gewohnheit)“ Zweimal im Jahr, jeweils zwei Wochen vor Ostern und Weihnachten, finden die Auszahlungen jeweils für vier Bezirke statt, daher werden sie auch „Vörjahrstheelen“ (Frühjahrsanteile) bzw. „Harfsttheelen“ (Herbstanteile) genannt. Alle vier Jahre wird abgerechnet. Theele, die nach diesem Zeitraum nicht in Empfang genommen wurden, verfallen.
Eine alte Eingangstür im Treppenturm des alten Rathauses und ein kunstvoll gestalteter Torbogen weisen uns den Weg zur Theelkammer, bei deren Betreten uns sofort der offene Kamin mit dem Wappen der Theelacht ins Auge fällt.
Das Wappen zeigt uns in seinem Mittelteil einen halben Adler und daneben einen Mann, der seinen Säbel schwingt Es ist der heilige Michael, der Schutzpatron der Ostfriesen, als Drachentöter. Flankiert wird der Wappenschild von einem Arfbur, der in seiner Rechten einen Dreschflegel hält. Seine Linke erhebt er, einen Bierbecher haltend. Auf der anderen Seite ist die Bäuerin zu sehen, sie schultert mit der Rechten eine Heugabel und hält mit der Linken eine Bierkanne. Links neben dem Kamin ist in einer Nische eine große Ehrentafel mit Flügeltüren angebracht. Auf ihr sind die Namen der seit 1600 tätig gewesenen Theelachter und Syndici angebracht. Zu den letzteren gehören auch Hector Wicht sowie Vater und Sohn Wenckebach, die sich um das Theelrecht verdient gemacht haben, indem sie die alten durchweg mündlichen Überlieferungen schriftlich formuliert haben.
Verfolgen wir einmal die Prozedur, die nach alten überlieferten Gebräuchen abläuft. wenn sich die Erbbauern eines Bezirks einfinden zur Empfangnahme ihrer Anteile:
Der Theelbote greift zu seinem Klopper aus Eschenholz, der zum besonderen Inventar in der Theelkammer gehört, schlägt dreimal auf den dafür vorgesehenen Klopfertisch respektvoll auf und sagt den überlieferten Spruch auf: „Hört to. Ji Arfburen, vandag worrn de Theelen utgäfen. All, de hier nix to dohn un to laten hemmen, mutten to de Theelkamer rutgahn of se worrn dör de Stadtdeener rutwäsen.“ Dann wird wieder dreimal aufgeklopft mit den Worten „Hört to, Ji Arfburen, well Geld to bören (bekommen) hett, de mutt bi d’Tafel kamen. De Bül (Beutel) is apen (offen) of he sall apen dahn worrn.“
Zum Ende der Ausgabezeit ertönen wieder die drei Klopperschläge: „Hört to, Ji Arfburen, de noch Geld to bören hett, de mutt bi d’Tafel kamen, de Bül is to (ist zu) off he sall todahn worrn.“ Zum Schluß heißt es „Hört to, Ji Arfburen, de Bül is to“. Die Theelbücher werden nun zugeklappt.
Nach diesem offiziellen Teil sitzt man noch gemütlich beisammen bei Petroleum¬ oder Kerzenlicht. man erzählt sich Döntjes aus der alten Zeit, tauscht Erinnerungen aus. trinkt aus hölzernen Bechern das spezielle Theelbier, das am Kamin in dafür vorgesehenen zinnernen Kannen leicht erwärmt wurde, und raucht aus den langen tönernen Pfeifen, gestopft mit schwerem Tabak.
Wenn kein Bier mehr da ist, wird mit drei Klopperschlägen darauf aufmerksam gemacht: „Hört to. Ji Arfburen. dat Beer is verloopen. De noch will drinkerl, mutt klinken (spendieren).“ Der Teller geht herum, aber einmal ist Schluss. Drei Klopperschläge, und es heißt: „Hört to, Ji Arfburen, ‚t is Fierabend.“
Auch das Antasten läuft nach einem alten festgelegten Zeremoniell ab. Ein Antrag ist eingereicht worden, und nun muss abgestimmt werden, ob der Antragsteller aufgenommen werden soll. Der Theelbote gibt ein Zeichen mit seinem Klopper, nennt Arfburen ausschenkt, selbst seinen Becher leert mit den Worten „up Theelachts Wohlfahrt“.
Nun wartet auf den Neebuur noch das dreimalige Würfelspiel. Soviel Augen wie gewürfelt muss er an Bechern mit Theelbier leeren. Da der Würfel aber an allen seinen Seiten sechs Augen aufweist, ist er mit 18 Bechern Bier wohl stets überfordert. Er kauft sich lieber frei.
Längst haben sich die geldlichen Voraussetzungen und auch die Besitzverhältnisse des bäuerlichen Theelacht-Verbandes, der in seiner Art als genossenschaftlicher Familienverband als der älteste in Europa angesehen wird, verändert. Die Pachten, die heute noch eingenommen und anteilmäßig verteilt werden können, haben nur noch symbolischen Charakter. Sie sind so gering geworden, dass die Erbbauern sie postwendend als Spende für die gemeinschaftliche Kasse zurückgeben. Geblieben ist der ungeheure Wert der Theelacht als Kulturträger. Die Pflege uralter Traditionen, der überkommenen Sitten und Gebräuche, das Festhalten am uralten Theelrecht, der Erhalt des alten Schriftgutes in den Theelbüchern mit seinen unschätzbaren genealogischen Informationen, die Pflege der plattdeutschen Sprache und der althergebrachten Sprüche, all das steht heute im Mittelpunkt. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass wir mit der Theelacht in unserer Heimat ein derartig kostbares Kulturgut besitzen. Sie ist für uns heute eine einzigartige Brücke zur uralten Geschichte, die weit über 1000 Jahre zurückreicht, und wir können“ nur hoffen, dass für unsere Nachfahren die Erinnerung daran erhalten bleibt.
© Wilhelmshavener Zeitung 16.11.2002