Der Warzstein auf dem Ludgerikirchhof in Norden
Oben auf dem Hügel des Ludgerikirchhofs zu Norden liegt zwischen Gras und Nesseln ein großer Stein mit einer Höhlung inmitten, in der sich das Regenwasser sammelt.
Diese Wasser soll heilkräftig sein gegen Warzen, und daher rührt der Name des Steines. Über die Sage gibt ihn noch eine andere Bedeutung die wichtiger ist:
Im 9. Jahrhundert fielen die Scharen der Wikinger über Ostfriesland her und drückten das Land unsäglich mit Brand und Mord, mit Aussaugung und Versklavung. Die Hilfe des Reiches versagte, da standen friesische Männer zusammen, und es ward die gewaltige Schlacht bei Norden geschlagen; 10.000 Normannen sanken dahin, und unzählige starben im Wasser der Tiefe und Gröben. Auf den Kirchhof aber, auf dem Stein, der noch heute da liegt, hatte Rembert gestanden, der Bischof von Bremen, und im Gebet die Hilfe des Himmels erflehen. Und als die Schlacht vorbei war, siehe, da hatten die Füße des heiligen sich in den Stein gedrückt, und daher rührt die Vertiefung. Von keinem Grafen, von keinem Herren ist die Rede bei diesem mächtigen Kampfe, eine wirkliche Schlacht des Volkes war es, freie Bauern, Fischer und Schiffer waren bei Norden die Sieger.
Sie alle aber wurden, so will es die Sage, mit dem Theelbauernrecht ausgezeichnet, das also als eine Art praktischen Denkmals in unsere Zeit hineinragen würde. Die Sieger erhielten das Schlachtfeld zu eigen eine große Fläche Marschlandes im Hager und Neßmer Kirchspiel, und vererbpachteten es untereinander. Ihre Gemeinschaft nennt sich die Theelacht, das Land zerfällt in einzelne Theele, die in Erbpacht bewirtschaftet werden. Kein Theelbauer kann seine Rechte an Nichtmitglieder abtreten, auch wenn er keine Kinder hinterlässt. Stirbt er unbeerbt, so wird sein Theel an andere Gemeinschafter vergeben. Jeder, der solches Theelland bewirtschaftet, zahlt seine Pacht, die dann an die Theelbauern verteilt wird.
Im alten Rathaus zu Norden gibt es die Theelkammer, einen Raum mit altertümlichem Hausrat und einem Kamin, den das große Wappen der Theelacht schmückt. Hier kommen die Bauern zusammen, und mit hergebrachten Formeln wird abgerechnet, geratschlagt und entschieden. Das die Theelbauern Stolz wie die Väter, die einst bei Norden die Wikinger schlugen.
Aus „Ostfriesland“ Das Land um den Upstallsboom, Herbert Röhrig, Friesen Verlag, Bremen 1927