Die Theelacht zu Norden ist mit ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte die weltweit älteste bäuerliche Genossenschaft
Gerd-D. Gauger
Rauch kräuselt aus langen weißen Tonpfeifen gegen die Balkendecke. Das Flackern des Kamins konkurriert mit dem der Kerzen auf dem schweren Holztisch. Auf ihm schäumendes, speziell gebrautes Bier in hohen Bechern, Tabaksdosen, Federkiele, schlanke Fidibusse, ein schweres Buch. Würdige Männer von Stand (man trägt Schlips!), sich in wohltemperierter Stimmlage unterhaltend. Gelegentlich wird’s lauter. „Up Theelachts Wohlfahrt“, ruft jemand, den Becher hebend. „Theelachts Wohlfahrt“, dröhnt es vielkehlig zurück. Womit geklärt wäre, wo wir uns befinden – in einer Zusammenkunft der Theelacht zu Norden, jener strengen Ritualen folgenden Gemeinschaft, die sich rühmt, eine mehr als tausendjährige Historie zu haben und damit die weltweit älteste bäuerliche Genossenschaft zu sein.
Zu ihrer Entstehung gibt es zwei Versionen. Nach der einen wurden im Jahre 884 von Skandinavien aus eindringende Marodeure in der Nähe Nordens von einer Freiwilligentruppe vernichtet geschlagen. Zum Dank übertrugen ihre Landsleute den siegreichen Haudegen größere Ländereien in der Hilgenrieder Bucht zur immerwährenden Nutzung. Daraus wird die heutige 1139 Jahre alte Geschichte der Genossenschaft abgeleitet. Nach einer weniger populären Lesart entstand die Theelacht aus einem frühen Deichverband. Das „Theel“ im Namen ist bei der Aufklärung wenig hilfreich, denn es gibt keine absolut eindeutige Deutung dafür.
Wie dem auch sei, die den Kämpfern übereigneten Latifundien waren um 2000 Hektar groß, von Pächtern zu einem geringen Zins bewirtschaftet. Später wurden aus Pächtern Erbpächter, das heißt Eigentümer, die der Theelacht lediglich eine Erbpacht zu zahlen hatten. Aber nach und nach verabschiedeten sich die Erbpächter durch Ablösungsverträge aus den Zahlungsverpflichtungen.
Heute verfügt die Theelacht noch über rund 400 Hektar abgabepflichtiger Ländereien, die allerdings längst auf den Namen ihrer Bewirtschafter im Grundbuch eingetragen sind. Die Auszahlung dieser Abgabe an die Anteilsberechtigten ist jeweils vor Ostern und vor Weihnachten in der Theelkammer im alten Norder Rathaus.
Ein auf Lebenszeit gewählter Theelachter, der je zwei der heute acht Bezirke der Acht verwaltet und absolute Autorität genießt, kontrolliert alle Zahlungsvorgänge anhand einer dicken, natürlich handgeschriebenen Inkunabel, nachdem der für die innere Organisation zuständige Theelbote (Theelbaat) mit lautem Ruf und lautem Aufklopfen dazu aufgerufen hat. Viel ist‘s nicht, was aus den 400-Hektar-Abgaben zu verteilen ist, und so steckt sich dann auch niemand die Beträge ins Knippke, sondern wirft sie in einen Pott, aus dem später ein geselliges Unnerunsje finanziert wird.
Die Theelkammer ist eine frauenlose Zone
Die Auszahlung – Klock 18 Uhr ist Schluss! – erfolgt am Tisch der Arvburen. Sie sind die Notablen der Theelacht, mehr oder weniger direkte Nachkommen der Kämpfer von einst, und nur sie sind stimmberechtigt. Sie haben als jüngster Sohn ihren Anteil geerbt und werden ihn einmal ihrem Jüngsten vererben. Dessen Brüder können, nachdem sie einen eigenen Hausstand gründeten, ebenfalls einen Anteil erwerben. Mit einem würdevollen Zeremoniell, dem Antasten, wird ihr Status als Arvbuur zementiert.
Und was ist, wenn ein Arvbuur nur Töchter hat? Die erben zwar seine Anteile, doch die Theelkammer ist seit jeher frauenlose Zone! Die Angelegenheiten der Erbinnen liegen in den Händen ihrer Männer, den Pelsburen (pelsen = veredeln), die unter den Pfeifenschmökern am Tisch der Arvburen sitzen. Auf der anderen Seite, deutlich von der Tafel der Arvburen getrennt, der Tisch der nicht stimmberechtigten Koopburen. So viel Hierarchie muss sein. Sie haben ihre Anteile, die einst von den ursprünglichen Besitzern aus wirtschaftlichen Zwängen veräußert wurden, mit Zustimmung der Theelacht (die auch über ihre Mitgliedschaft entscheidet) gekauft, vererben sie nach bürgerlichem Recht und dürfen sie, wenn die Theelacht ihr Vorkaufsrecht nicht wahrnimmt, weiter veräußern.
Die Gelder sind ausgezahlt, Regularien werden verlesen, der Stadtdiener – ein von der Acht gewählter Polizist in Uniform – bemängelt mit ’nem Knippoog missliebiges Verhalten, und dann werden noch, ehe die Kerzen verlöschen, plattdeutsche Döntjes vorgetragen.